Hodschas Esel

Hodschas Esel

Wie Ihr bestimmt wisst, war Griechenland lange Zeit Teil des Ottomanischen Reichs, deren Nachfolger die heutige Türkei ist. Der Norden Griechenlands war sogar bis nach dem ersten Weltkrieg unter türkischer Herrschaft. Aus dieser Zeit stammen viele Geschichten, die meine Großmutter erzählte. Und viele Geschichten handelten vom Hodscha.

Entgegen der landläufigen Meinung geht es uns allen immer besser. Und es stimmt nicht immer, dass die vergangenen Zeiten besser waren. In einigen Aspekten schon, aber nur in ganz wenigen.

Ein Beispiel? Ich kam 1972 nach Deutschland. Damals war es normal, dass die meisten Häuser mit Kohle beheizt wurden. Und die Badezimmer verdienten eher den Namen Abort. In diesen beinahe 50 Jahren hat sich sehr viel geändert. Und das ist nur meine persönliche Wahrnehmung.

Wenn Sie Einhundert Jahre zurück gehen, bis zum ersten Weltkrieg und davor, dann sind die Änderungen noch gravierender. Urlaub, Krankenkasse, Ausbildung, Information, politische Systeme, Technik sind einige Aspekte, die sich dramatisch geändert haben.

Damals also, mitten in der dunklen geistigen Dunkelheit des Ottomanischen Reiches, wo der Herrscher Herr über Körper und Seelen seiner Untertanen war, hatten die Leute in den Dörfern nicht die Mittel Priester, Richter, Ärzte und Lehrer zu bezahlen. Hin und wieder zog eine Gruppe von marodierenden Soldaten vorbei, die die eine oder andere Frau in ihr Lager holten, oder den einen oder anderen Bauern aufknüpften, doch jenseits dieser äußerst seltenen Episoden lebten die Menschen in ihrem Einerlei aus Arbeit, Mangel und periodischen Besuchen von Hodscha.

Der Hodscha war eben das, was das Dorf sich nicht leisten konnte. Ein Priester, Richter, Arzt und Lehrer. Alles in einer Person. Nein, kein genialer Mensch, nur jemand der listig genug war, um nach seiner Einweisung in die Religiösen Belange, als Wissender aufzutreten. Und die Leute glaubten es ihm und bezahlten ihm mit dem, was zur Verfügung stand.

Es war üblich, dass der Hodscha nicht auf einem Pferd, sondern auf einem Esel oder einem Maultier dahergeritten kam.

Der Hodscha unserer Geschichte liebte seine Arbeit. Er zog von Dorf zu Dorf, ließ sich von den Frauen in der Nacht das Lager wärmen, und lehrte, schlichtete und heilte. Da die Dörfler weder lesen noch schreiben konnten, waren seine Kenntnisse ausreichend zum Lehren, das Schlichten war einfach kraft seines Amtes und zum Heilen bewirkte auch damals der Glaube mehr als das bittere Medikament aus Baumrinde, das er den Dörflern gab.

Über eines ärgerte sich unser Hodscha jeden Tag: der unermessliche Appetit seines Esels. Unmengen an Stroh und Wasser musste er mitführen, um diesen Appetit, zumindest teilweise zu stillen. Und im Winter, wenn er die Dörfler nicht besuchen konnte, musste es das nötige Futter sogar kaufen. Ohne dieses Problem, wäre unser Hodscha ein wahrlich glücklicher Mann.

Die rettende Idee kam ihm, als er mit einem Freund sprach. Als er so erzählte, wie teuer und anstrengend es war, das Wasser und Futter zu besorgen oder sogar zu kaufen, entschloss  er sich, dem Esel das Fressen abzugewöhnen.

Ein Jahr später, traf er wieder seinen Freund, der ihn auf den Erfolg seiner Esel-Dressur ansprach.

„Oh, je“, sagte unser Hodscha, „am Anfang gab es Probleme, dann gewöhnte er sich daran und dann starb er, der undankbare Esel“.

Meine Oma erzählte immer diese Geschichte, wenn sie uns deutlich machen wollte, dass wir etwas geben mussten, wenn wir etwas haben wollten.

Liebe Grüße

Kostas Thomopoulos

 

Prev Leben am Rand des Chaos
Next Prinzessin #allesistdrin

One Comment

  1. Es ist viel schöner Jemandem etwas zu geben, denn das ist die schönste Sache zwischenzwei Menschen. Wer das nicht versteht, hat die Schönheit des Lebens nie geschmeckt. Eine Seel die immer nur nimmt wird nie satt.

Leave a comment

89 − = 85