Gottes Wille geschehe

Der Glauben an sich
Ich habe in der Zwischenzeit ein Alter erreicht, in dem Fragen wie “woher komme ich?”, “wer bin ich?” und “warum bin ich da?”, keine große Rolle mehr spielen sollten. Zu gegebener Zeit denkt jeder von uns über solche Themen nach. Das Ergebnis ist meist ein Schulterzucken; Es wird schon seinen Grund haben. Selten, ganz selten geschieht es, dass jemand dem Glauben an einem Gott verfällt und die Priesterlaufbahn einschlägt oder in ein Kloster geht. Immer seltener.
Wenn Gott allmächtig ist, und nicht will dass uns etwas passiert, dann sollte das nicht passieren. Passiert es trotzdem, dann ist Gott vielleicht nicht allmächtig. Oder vielleicht nicht willens uns zu helfen. Wenn ein allmächtiger Gott, der uns liebt, nicht willens ist uns zu helfen, dann ist er böse. Doch manchmal, sieht man etwas, liest man etwas oder befindet sich in einer Umbruchphase im Leben und dann erscheinen solche Fragen; Will Gott wirklich, dass die Menschen in Syrien sich gegenseitig umbringen? Will Gott wirklich, dass bestimmte Potentaten sich zum Obermörder aufschwingen und aus welchen Gründen auch immer für den Tod von Tausenden verantwortlich sind?
Nach meiner Ansicht muss ein Gott weder “gut” noch “böse” sein. Ich glaube nicht, dass eine zeitlose und allmächtige Entität mit diesen Begriffen etwas anfangen kann. Dass ein Gott “gut” sein kann, ist erst vor zwei Tausend Jahren in Mode gekommen. Vorher war es Gang und Gebe dass Götter aus Lust und Laune Tausende Gläubige oder Ungläubige niedermetzelten. Entweder um ihnen eine Lektion zu erteilen, oder weil es den zeitlosen Göttern im Moment einfach langweilig war.
Und unser geliebter Bruder Jesus Christus hatte vor 2.000 Jahren den Einfall, dass er am Kreuz sterben muss, damit wir von der Sünde des Obst-Diebstahls (andere Geschichte) gereinigt werden UND dass wir einander lieben sollen, weil Gott uns auch liebt. Seit 2.000 Jahren also konnte das allmächtige, zeitlose Wesen nicht nur Gefühle wie Zorn, Rechthabenheit und Egoismus entwickeln, sondern auch Liebe empfinden. Für ein göttliches Wesen eindeutig ein Fortschritt.
Das Argument des freien Willens finde ich, ehrlich gesagt etwas lächerlich. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass diese Menschen sich ihr eigenes Unglück gewünscht haben. Hierbei reden wir nicht vom aktiven Willen, wenn ein Soldat etwa aus freiem Willen Morde an Zivilisten begeht. Wir reden vom Willen der Zivilisten die ermordet werden. Glaubt irgendjemand auf dieser, oder einer anderen Welt, dass diese Menschen das Elend und den Tod sich freiwillig gewünscht haben? Ich nicht.
Es ist mir auch bewusst, dass Gott nicht der Gott sein kann, der in der Bibel oder andere ähnliche Bücher beschrieben wird. Gott, sofern es einen gibt, muss in einer Weise existieren, die wir nicht beschreiben können. Oder fühlt sich jemand in der Lage ein Wesen zu beschreiben, dass sieben Milliarden Menschen beobachtet, genauestens Buch darüber führt, nicht nur über die Taten dieser Menschen, sondern auch über die bösen Gedanken die uns täglich plagen, damit wir nach unserem Tod gerichtet werden? Es wäre geradezu lächerlich. Zumindest meiner Meinung nach.
Einige Merkmale Gottes sollen jedoch besonders wichtig sein: Gott ist unfehlbar, Gott ist allmächtig, Gott ist zeitlos und Gott liebt uns. Ich bin zwar sehr erfreut, dass eine so wichtige Entität mich liebt und sich Gedanken über meine Zukunft macht, aber ehrlich gesagt kann und will ich es nicht glauben.
Ein Erlebnis aus der Vergangenheit taucht bei diesem Thema immer wieder im Gedächtnis auf. Ein Gespräch mit einer Türkin mittleren Alters und Mutter von zwei Kindern. Eine Muslimin. Der Imam hätte ihr gesagt, dass auf der rechten Schulter ein weißer und auf der linken Schulter ein schwarzer Engel sitzt. Der weiße Engel würde die guten und der schwarze Engel die bösen Taten aufschreiben und nach dem Tod würden sie alles verpetzen, so dass sie gerichtet werden könnte. Das ist natürlich ein sehr problematisches Konstrukt. Da ich mit den Engeln auf meinen Schultern nicht kommunizieren kann, bin ich auch nicht in der Lage zu wissen, was der Engel rechts für gut und was der Engel links für schlecht befindet. Jeder kann sich Situationen vorstellen, in denen wir Handlungen vornehmen oder an Handlungen denken, die einem dritten fremden, der unsere Zwangssituation nicht kennt, negativst auffallen würden. Wir sind alle Menschen und auf Fehler basierende Erfahrungen sind die Grundlage unseres Lebens. Sind eingesehene und bereute Fehler Sünden? Was sind Fehler überhaupt, wenn ich die Auswirkungen meines Tuns oder Unterlassens meist erst im Nachhinein als “richtig” oder “falsch”, “gut” oder “böse” erkennen kann?
Ich glaube das Konzept der “Sünde” und von “Gut” oder “Böse” basiert weniger auf den Ansichten von auf unseren Schultern sitzenden monochromen Engeln, sondern auf dem Konzept des Gewissens, das uns in jungen Jahren beigebracht wird. Wenn der einzelne sich selbst überwacht, ist keine Polizei nötig. Sollte irgendetwas passieren, dann hat es vielleicht noch jemand anders gesehen, dessen Gewissen dringendst Erleichterung braucht. Wir kennen auch viele Beispiele, in denen dieses Gewissen ein Eigenleben entwickelt und zu uns spricht. Uns anweist das eine oder andere zu tun, aus welchen Gründen auch immer. Und “wie” dieses Gewissen zu uns spricht und “was” es zu uns sagt, wie wir es “beruhigen” oder “erzürnen” können, ist bei jedem Menschen sehr unterschiedlich.
Ich glaube auch, dass aufgrund dieses Konzeptes nicht ein Gott als unabhängiger und objektiver Richter uns in die Hölle schickt, sondern wir selbst. Noch lange vor unserem Tod quält uns unser Gewissen und es hört bestimmt nicht auf, wenn wir diesem zeitlosen, allmächtigen, allwissenden All-irgendwas-Wesen gegenübertreten. Gegenübertreten wohl, weniger gegenüberstehen, gegenüberliegen und gegenübersitzen wohl auch nicht. Nennen wir es lieber, dass wir uns im direkten Einflussbereich dieser göttlichen Entität befinden.
Und dann erwarten wir Vergebung. Stellt euch vor: Ihr sterbt, kommt in den “Himmel”, trefft Gott und bekommt eine Liste vorgelegt mit allen Sünden, die Ihr bewusst oder unbewusst begangen habt.